Die Nordmainische S-Bahn stellt sich vor, Teil 3: Ein Tunnel, der es in sich hat

Eine Tunnelvortriebsmaschine bohrt sich auf 1,2 Kilometern durch den Frankfurter Untergrund, unterquert dabei Gebäude und eine U-Bahn-Station – das ist so herausfordernd, wie es sich anhört. Teilprojektleiter Fatih Türk spricht in Teil 3 unserer Serie zur Nordmainischen S-Bahn (NMS) über ein Bauwerk mit gleich mehreren Highlights des konstruktiven Ingenieurbaus.

Fatih Türk ist Leiter Tunnelbau im Bauabschnitt Frankfurt – eine an baulichen Herausforderungen mehr als reiche Maßnahme für die Nordmainische S-Bahn. (Fotos: DB/Iris Klose)
Fatih Türk ist Leiter Tunnelbau im Bauabschnitt Frankfurt – eine an baulichen Herausforderungen mehr als reiche Maßnahme für die Nordmainische S-Bahn. (Fotos: DB/Iris Klose)

Der Tunnelbauer vom Main

Fatih Türk gehört seit 2016 zum Team der Nordmainischen S-Bahn. Auch vorher hat der Experte für Tunnelbau schon einige Großprojekte betreut. Er war unter anderem an Stuttgart 21 beteiligt, damals noch als Mitarbeiter eines externen Ingenieurbüros. Nach seinem Wechsel zur DB arbeitete er am Bau der Metro in Katar mit, wo er Teamleiter für eine Metrolinie war. Das Projekt umfasste mehrere unterirdische U-Bahn-Stationen, ein unterirdisches Kreuzungsbauwerk und insgesamt 110 Kilometer Tunnelstrecke.

Dass die Länge allein nur wenig Aussagekraft über die Komplexität eines Bauvorhabens hat, beweist der Bauabschnitt PFA 1 des Großprojekts Nordmainische S-Bahn. Er beinhaltet einen relativ kurzen Tunnelabschnitt, ist baulich aber ziemlich komplex. Denn hier, mitten im Frankfurter Stadtgebiet, wird unter anderem ein Tunnel gebaut. Durch ihn werden künftig die S-Bahnen ab der Station „Konstablerwache“ in Richtung Maintal und Hanau fahren. Hinzu kommt eine neue, unterirdische S-Bahn-Station am Ostbahnhof.

Der Tunnelbau liegt im Verantwortungsbereich von Fatih Türk. „Das ist eine Maßnahme, die es in sich hat“, sagt der Teilprojektleiter Tunnel. „Fast alles, was im Tunnelbau technisch machbar ist, werden wir hier anwenden. Man kann sagen: Wenn man das geschafft hat, ist man mit allen Wassern gewaschen.“

Die Grafik zeigt den Verlauf des Tunnels. (Grafiken: DB Netz)
Die Grafik zeigt den Verlauf des Tunnels. (Grafiken: DB Netz)

Eine der vielen Besonderheiten ist, dass ein Teilstück der beiden Tunnelröhren längst fertig ist: An der Station „Konstablerwache“ wartet ein sogenannter Tunnelstumpf seit Anfang der 1980er Jahre darauf, verlängert zu werden. „Als damals die Tunnelstammstrecke gebaut wurde, hat man schon vorausschauend eine etwa 300 Meter lange Abzweigung für die Nordmainische S-Bahn mitgebaut“, sagt Türk. Doch dann verzögerte sich das Projekt, die Planungen wurden erst später wieder aufgenommen.

Fluch und Segen: 300 Meter Tunnel sind schon da

Dass die Anbindung an die Bestandsröhren der Tunnelstammstrecke schon existiert, ist für die Tunnelbauer:innen Segen und Fluch zugleich. Von Vorteil ist, dass 300 Meter weniger Tunnel gebaut werden müssen. Auf der anderen Seite haben sich Technik und Sicherheitsanforderungen seit den späten 1970er Jahren weiterentwickelt, etwa was die Anforderungen an Fluchtwege betrifft. Und: „Der Tunnelstumpf gibt einen Rahmen vor, den wir einhalten müssen. Mit ihm haben wir so genannte Zwangspunkte. Das bedeutet, dass wir in puncto Tiefe und Verlauf des Tunnels nicht mehr so flexibel sind“, sagt Fatih Türk.

Für den Tunnelbau wird eine Tunnelvortriebsmaschine (TVM) zum Einsatz kommen, die sich insgesamt 1,2 Kilometer durch den Frankfurter Untergrund bohren wird. Denn die offene Tunnelbauweise ist im dicht bebauten Frankfurter Ostend keine Option. Aufgrund der strengen Vorgaben der Behörden zur Grundwasserabsenkung ist auch eine konventionelle Bauweise nicht umsetzbar.

Der Schildmantel (blau) wandert mit der Tunnelvortriebsmaschine an Ort und Stelle und bleibt zwischen Bestands- und neuer Röhre in der Erde. (Grafik: DB Netz)
Der Schildmantel (blau) wandert mit der Tunnelvortriebsmaschine an Ort und Stelle und bleibt zwischen Bestands- und neuer Röhre in der Erde. (Grafik: DB Netz)

Um die unterschiedlichen Durchmesser der alten Tunnelröhren des Tunnelstumpfs und der modernen Röhren auszugleichen, wird die TVM einige Meter vor dem Tunnelstumpf stehen bleiben. Der Bohrkopf der TVM wird unter Druckluftstützung zurückgebaut und der restliche Tunnelabschnitt wird ebenfalls unter Druckluft in herkömmlicher Spritzbetonbauweise und einer Ortbetonschale erstellt.  Der Schildmantel bleibt dauerhaft in der Erde. Im Schutze des Schildmantels können die Tunnelbauer:innen die so genannten Tübbinge anbringen, die Bauteile für die Außenschale des Tunnels bei einem TVM-Tunnel.

Spezialtiefbau mitten in Frankfurt

Der Tunnel wird bis zu 20 Meter unter der Erdoberfläche verlaufen. Daraus ergeben sich weitere Herausforderungen: Denn auf oder besser über der künftigen Strecke liegen zahlreiche Bauwerke, die unterquert werden müssen – darunter auch die U-Bahn-Station „Ostbahnhof“ und ein moderner Gebäudekomplex mit einem tief reichenden Fundament. „Für beide Fälle haben wir individuelle Lösungen entwickelt“, sagt Türk.

Bei dem Gebäudekomplex etwa kommen Injektionsschirme zum Einsatz – lange Rohre mit vielen Perforationen, die fächerartig durch das Erdreich unter dem Gebäude getrieben werden. Danach wird eine Kontaktinjektion in die Erde gespritzt, um sie zu stabilisieren und Erdbewegungen zu verhindern. „An sich ist das keine neue Technik“, sagt Türk. „Doch in unserem Fall werden außergewöhnlich lange Rohre eingesetzt, die bis zu 80 Meter lang sind. Das gab es so in Deutschland bei der DB bisher noch nicht.“

Die U-Bahn-Station und die geplante S-Bahn-Station im Querschnitt. (Grafiken: DB Netz)
Die U-Bahn-Station und die geplante S-Bahn-Station im Querschnitt. (Grafiken: DB Netz)

Ein weiterer Spezialfall wartet an der U-Bahn-Station „Ostbahnhof“. Hier ragen Stahl- oder Steckträger in die Tiefe, die noch vom Bau der Station stammen. Einige davon müssen nun weichen, um Platz für die Tunnelvortriebsmaschine zu schaffen. Um sie manuell entfernen zu können, werden so genannte Bergeschächte gegraben – mannshohe Stollen, um den Bauarbeitern Zugang zu den Steckträgern zu ermöglichen. Danach werden die Schächte wieder verdämmt.

Wichtig ist hier außerdem, dass so erschütterungsarm wie möglich gearbeitet wird. Denn die U-Bahn fährt auf einer sog. festen Fahrbahn und das U-Bahn Bauwerk hat eine sogenannte Schwarzabdichtung, die weder große Erschütterungen noch nachlassenden Druck im Erdreich verträgt – der Mindestanpressdruck muss aufrechterhalten werden. Daher wird auch hier ein weiterer Injektionsschirm gebaut.

Die neue S-Bahn-Station

Der Danziger Platz aus der Vogelperspektive: Die neue, unterirdische S-Bahn-Station wird in unmittelbarer Nähe zur U-Bahn-Station und dem Ostbahnhof gebaut. (Grafik: DB Netz AG)
Der Danziger Platz aus der Vogelperspektive: Die neue, unterirdische S-Bahn-Station wird in unmittelbarer Nähe zur U-Bahn-Station und dem Ostbahnhof gebaut. (Grafik: DB Netz AG)

Der Tunnel ist das eine, die dazugehörige S-Bahn-Station das andere. Auch hier warten jede Menge Herausforderungen. Eine davon ist die Lage am Danziger Platz zwischen Ostbahnhof und Wohngebiet, einem wichtigen Straßenverkehrsknotenpunkt für den Stadtteil Ostend. „Deshalb haben wir hier nicht viel Platz zur Verfügung, um ein so massives Ingenieurbauwerk zu bauen“, sagt Fatih Türk. „Das hat natürlich Auswirkungen auf das Bauverfahren. Die offene Bauweise scheidet auch hierbei aus.“

Stattdessen wird die Deckelbauweise zum Einsatz kommen, um den Straßenverkehr möglichst wenig zu beeinträchtigen. Das bedeutet, dass die Arbeiten – auch der Aushub - unter dem geschlossenen Deckel stattfinden, über die der Verkehr weiter rollen kann. „Und wir können dieses große Stationsbauwerk nicht an einem Stück aufbauen, sondern müssen schrittweise vorgehen.“ Der Ingenieurbau der Station wird etwa sechs Jahre dauern, die Ausrüstung der Station inklusive Gleisbau und Oberleitung weitere zwei Jahre.

Planfeststellungsverfahren in Zahlen

Großprojekte wie die Nordmainische S-Bahnen haben andere Dimensionen. Das gilt auch für die dazugehörigen Genehmigungsverfahren. Ein Überblick:

  • drei Planfeststellungsabschnitte für Frankfurt, Maintal und Hanau
  • insgesamt acht Offenlagen der Unterlagen für die Öffentlichkeit
  • pro Offenlage mehr als 1000 Einzelfragen, insgesamt rund 10.000
  • private Einwendungen und eine Vielzahl an Stellungsnahmen der Träger:innen öffentlicher Belange
  • bisher 6 Erörterungstermine mit 15 Verhandlungstagen, geleitet von der Anhörungsbehörde (Regierungspräsidium Darmstadt), wenn Sachverhalte gemeinsam zu erörtern waren

Viele Arbeiten, komplexer Zeitplan

Bis die erste S-Bahn zwischen Frankfurt und Hanau fahren kann, wird es noch dauern. Die Inbetriebnahme ist nach heutigem Stand für 2031 geplant. Um möglichst effizient zu arbeiten, läuft vieles parallel und muss engmaschig aufeinander abgestimmt werden.

Beispielsweise muss der Rohbau der S-Bahn-Station fertig sein, bevor sich die Tunnelvortriebsmaschine in Gang setzen kann. Denn: Sie bohrt sich von Osten kommend vor und wird dann durch das Bauwerk getragen, um sich auf der anderen Seite bis zum Tunnelstumpf an der Ostenstraße weiterarbeiten zu können. Auch müssen alle Injektionsschirme fertig und Stahlträger entfernt sein, bevor der Tunnel gebaut werden kann.

Wie geht man mit all diesen Herausforderungen um? „Wir gehen mit positivem Elan an die Sache heran“, sagt Fatih Türk. „Wir haben es hier mit vielen Maßnahmen zu tun, die nicht alltäglich sind. Später sagen zu können, dass wir beim Bau dabei waren und erfolgreich abgeschlossen haben, macht stolz.“

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